Hier finden Sie interessante Fälle aus meiner Praxistätigkeit - diese werde ich laufend fortführen.
Fallbeispiel 1
Frau M. rief in der Gerinnungspraxis an und erzählte, dass ihre Tochter Miriam, Alter 16 Jahre, jetzt einen neuen Freund hat. Frau M. hatte eine tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie vor fünf Jahren ohne äußeren Anlass. Es wurde bei ihr als Ursache für die Thrombose/Lungenembolie anschließend eine heterozygote Faktor V-Leidenmutation nachgewiesen.
Frage: Kann meine Tochter ohne Risiko die Pille bekommen?
Antwort: Die klassischen, aber auch die neuen Ovulationshemmer (Pillen), erhöhen das Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln (Thrombosen) auf das ca. 2-4 fache. Vor dem Hintergrund, dass Sie als Mutter eine Thrombose bei Faktor V-Leidenmutation hatten, sollte man eine Gerinnungsabklärung (Thrombophiliediagnostik) bei Ihrer Tochter durchführen bevor sie die Pille bekommt. Beispielsweise weiß man, dass eine heterozygote Faktor V-Leiden-Mutation das Thromboserisiko auf das 7-8-fache erhöht im Vergleich zu Personen, die diese erbliche Gerinnungsstörung nicht besitzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Tochter diesen Defekt geerbt hat, beträgt 25% und ist damit nicht unerheblich. Wenn nun Ihre Tochter diesen Defekt ebenfalls haben sollte, würde nach Verordnung einer üblichen östrogenhaltigen Pille das Risiko für eine Thrombose auf das 28-fache ansteigen, damit wäre Ihre Tochter einem hohen Risiko ausgesetzt.
Empfehlung: Vor Verordnung eines Ovulationshemmers (Pille) bei Miriam sollte man eine Gerinnungsdiagnostik durchführen, um nichts zu übersehen und ihre Tochter nicht zu gefährden.
Fallbeispiel 2
Patientin in der 6. Schwangerschaftswoche kommt in die Gerinnungspraxis. In der Familie mütterlicherseits gibt es gehäuft Beinvenenthrombosen und Lungenembolien. Sie selbst hatte glücklicherweise noch keine Thrombose. Fragen: Was soll ich tun? Wie hoch ist mein Thromboserisiko in der Schwangerschaft?
In der Thrombophiliediagnostik zeigte sich eine kombinierte Störung aus heterozygoter Prothrombinmutation und heterozygoter Faktor V-Leidenmutation. Während einer normalen Schwangerschaft steigt das venöse Thromboembolierisiko auf das 5-fache an. Die kombinierte Gerinnungsstörung erhöht das Thromboserisiko außerhalb der Schwangerschaft auf das ca. 20-30-fache. In der Schwangerschaft steigt das Thromboembolierisiko geschätzt auf das ca. 80-100 fache an. Vor diesem Hintergrund sind Thromboseprophylaxe-Maßnahmen notwendig.
Empfehlung: ausreichend bewegen, ausreichend trinken und zusätzlich eine Heparinspritze pro Tag, um eine Thrombose zu verhindern. Notwendig ist eine engmaschige interdisziplinäre Betreuung durch den Gynäkologen und einem erfahrenen Gerinnungsspezialisten.
Fallbeispiel 3
31-jähriger Patient wird in die Praxis überwiesen mit Blutungskomplikation nach kürzlich stattgefunder Knieoperation. In der Vorgeschichte berichtet er über vermehrt blaue Flecken seit Kindheit bereits wenn er sich leicht angestoßen hat. Ferner kam es zu Nachblutungen nach Entfernung von Weisheitszähnen und auch nach einer Blinddarmoperation. Der Patient nimmt keinerlei Medikamente. Bei der Blutungs-abklärung fällt ein isoliert erniedrigter Gerinnungsfaktor VIII mit 15% auf. Es wurde die Diagnose einer Bluterkrankheit (Subhämophilie A) gestellt. Die Hämophilie A wird durch ein weibliches Geschlechtschromosom d.h. X-chromosomal durch die Mütter vererbt. Die Mütter selbst haben meist keinerlei Blutungsprobleme, da sie im Gegensatz zum männlichen Geschlecht (XY) 2 weibliche Geschlechtschromosome (XX) besitzen, wobei das eine "krank", das andere gesund ist. Das gesunde X reicht aus um dafür zu sorgen, dass genügend Gerinnungsfaktor VIII gebildet wird. Wenn diese Mütter mit einem gesunden und einem kranken X-Chromosom männliche Nachkommen haben, sind 50% der Jungen gesund, in 50% wird jedoch das kranke X übertragen. Da männliche Nachkommen jedoch nur ein X-Chromosom besitzen, werden sie zu Blutern. Bei dem Patienten war die Mutter Überträgerin (Konduktorin) und hat ihrem Sohn das kranke X vererbt. Dem Sohn wurde ein Notfallausweis ausgestellt mit der Diagnose Subhämophilie A. Er wurde eingehend informiert, wie man Blutungen bei Operation verhindern kann und welche Maßnahmen bei bedrohlichen Blutungen (z.B. nach einer Verletzung) zur Verfügung stehen (Faktorenkonzentrat). Ferner wer Ansprechpartner bei Fragen und Problemen ist.
Fallbeispiel 4
Eine 74-jährige Patientin bemerkte beim morgendlichen Aufstehen eine Schwäche des rechten Beines und Armes. Es wurde eine Magnetresonanztomographie des Kopfes durchgeführt und der Verschluss einer Gehirnarterie festgestellt. Im Langzeit-EKG wurde Vorhofflimmern nachgewiesen. Vorhofflimmern begünstigt die Entstehung von Blutgerinnseln im Herzen, die verschleppt werden und so eine Hirnarterie verstopfen können mit dem Ergebnis Schlaganfall und neurologischen Ausfällen. Bei der Patientin ist seit 15 Jahren ein Bluthochdruck bekannt. Ferner leidet sie seit 6 Jahren an einer Zuckerkrankheit, auch die Nierenfunktion ist eingeschränkt, s odass ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Schlaganfall besteht. Was ist zu tun, um dies zu verhindern? Es besteht die Notwendigkeit zur konsequenten Blutverdünnung. In der Praxis erfolgte eine differenzierte Beratung, welche blutverdünnenden Möglichkeiten bestehen. Bei der Wahl des Blutverdünners spielt die deutlich eingeschränkte Nierenfunktion eine besondere Rolle, d.h. Substanzen, die vorwiegend über die Niere ausgeschieden werden, kommen nicht in Frage. Ferner muss die Dosis entsprechend
der Nierenfunktion angepasst werden. Die Patientin wurde darüber aufgeklärt, dass sie bei Schmerzen möglichst keine Medikamente nehmen soll, die die Blutplättchenfunktion hemmen, da sonst das Blutungsrisiko steigt. Notwendige Laborkontrollen und allgemeine Verhaltensmaßnahmen wie z.B. tägliche Trinkmenge wurden besprochen.
© Prof. Dr. med. H. Schinzel 2015 Impressum